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Nach der Ausbildung ins Ausland

Porträts + Interviews

Ein Auslandsaufenthalt kann viele neue Erfahrungen über sich selbst, seinen Beruf und auch über neue Kulturen bringen. Wiebke Fahlbusch, eine unserer ehemaligen Ergotherapie-Schülerinnen, hat sich diesen Traum erfüllt und lebte in den USA, wo sie ihren Beruf mit einem Auslandsaufenthalt verbinden konnte.

Wie bist du darauf gekommen, Ergotherapeutin zu werden und warum ist das dein Traumberuf?

Die Idee Ergotherapeutin zu werden, kam mir etwa ein Jahr vor dem Abitur. Schon einige Jahre war ich sozial engagiert im Schulsanitätsdienst und bei dem Malteser Hilfsdienst in der Jugendarbeit und es stand für mich fest, dass ein sozialer Beruf das Richtige für mich ist. 

Der Beruf der Ergotherapeutin ist unglaublich vielseitig und stellt einen immer wieder vor neue Herausforderungen. Egal ob mit Kindern oder Erwachsenen, ob im orthopädischen, neurologischen oder psychologischen Feld, es gibt immer neue Dinge zu lernen, auszuprobieren und Probleme zu bewältigen. Kein Arbeitstag ist wie der vorherige und ich habe Spaß daran, Menschen darin zu unterstützen, ihre Lebensqualität zu verbessern.

Wie ging es nach deiner Ergotherapie-Ausbildung weiter?

Nach meinem Abschluss habe ich zunächst angefangen, in meinem vorherigen Praktikumsbetrieb zu arbeiten. Das war eine Praxis in Berlin, die Patienten aus allen Bereichen betreut. Zusammen mit einer anderen Ergotherapeutin und mehreren Physio- und Sporttherapeuten hatten wir ein wunderbares interdisziplinäres Team. Neben der klassischen Arbeit als Ergotherapeutin hatten wir zudem viele Ausbildungspraktikanten, an die ich mein Wissen weitergeben konnte. 

Nach etwas über zwei Jahren in der Firma bekam ich die Möglichkeit, eine neue Filiale einer anderen Praxis aufzubauen und dort die therapeutische Leitung zu übernehmen. Dort arbeitete ich für neun Monate, da sich in der Zwischenzeit die Möglichkeit auftat, in die USA zu gehen.

Und wie kamst du auf die Idee, mit deinem Beruf ins Ausland zu gehen? Wie hast du dich darauf vorbereitet?

Schon in meiner Schulzeit hatte ich den Traum, für einige Zeit ins Ausland zu gehen. Meine beiden Geschwister waren während bzw. gleich nach ihrer Schulzeit für ein Jahr im Ausland. Leider ergaben sich keine Möglichkeiten für mich, an solchen Programmen teilzunehmen.

Letztendlich wahr geworden ist der Traum nachdem ich eine Werbung meiner aktuellen Organisation im Internet gesehen habe. Ich war sofort Feuer und Flamme für die Idee, meinen Beruf mit einem Auslandsaufenthalt zu verbinden und informierte mich über das Programm und es schien wie für mich gemacht zu sein. Für ein bis zwei Jahre in einer Familie zu leben, die ein Kind mit besonderen Bedürfnissen hat, gab mir nicht nur die Möglichkeit, endlich meine Auslandserfahrung zu machen, sondern zudem auch die Chance, Therapien in den USA kennen zu lernen, ein Verständnis dafür zu entwickeln wie es ist, ein Kind mit Behinderung zu haben und selbst einen großen Einfluss auf dieses zu haben.

Das ganze Programm lief über eine Organisation (bei mir war es Apex/PROaupair), die sich auch um das benötigte Visum kümmert. In Vorbereitung auf das Programm füllte ich eine Online-Bewerbung aus, hatte mehrere Gespräche mit Mitarbeitern der Organisation und mit diversen Gastfamilien bevor ich mich letztendlich für meine aktuelle Familie entschieden habe. Des Weiteren nahm ich an einem Vorbereitungsseminar und einem Online-Kurs mit dem Schwerpunkt Kindererziehung in den USA teil.

Wie sieht dein Alltag in deiner Gastfamilie in den USA aus?

In meiner USA-Familie bin ich als ein vollwertiges Familienmitglied aufgenommen worden. Der Alltag unterscheidete sich je nachdem ob die Kinder in der Schule oder es Wochenende oder Ferien waren. Ich passte auf zwei Kinder auf. Ella ist ein wunderbares, intelligentes, selbstständiges und immer zu Späßen aufgelegtes 12-jähriges Mädchen. Mikey, auf dem mein Fokus lag, ist jetzt zehn Jahre alt und hat eine Autismus-Spektrums Diagnose.

An Schultagen habe ich Mikey mit der Morgenroutine geholfen: beim Anziehen, Zähneputzen und Frühstücken. Ich versuchte ihn darin zu unterstützen, alle Aufgaben möglichst selbstständig zu erledigen. Sobald er im Bus zur Schule saß, hatte ich Freizeit, um zum College oder Sport zu gehen, mich mit Freunden zu treffen oder auch sonst zu machen, was ich wollte.

Wenn Mikey aus der Schule wiederkam, habe ich verschiedene Dinge mit ihm unternommen, nahm an Therapien teil und unterstützte ihn darin, eine größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag zu entwickeln. Normalerweise übernahm ich die Abendroutine bevor ich dann Feierabend hatte. Abends genießte ich oft die Zeit hier mit meiner zweiten Familie, traf mich mit Freunden oder las ein gutes Buch.

Am Wochenende versuchte ich immer möglichst viel mit Mikey zu unternehmen. Mal war es ein Ausflug in ein Museum, einen Park, zum Schwimmen oder Einkaufen. Es gab immer genug Dinge zu tun und ich denke, es ist unglaublich wertvoll und wichtig für ihn, an normalen gesellschaftlichen Events teilzunehmen.

Wenn die Familie in den Urlaub gefahren ist, kam ich ganz selbstverständlich mit. So waren wir zusammen in North Carolina beim Strandurlaub, in Ohio Verwandtschaft besuchen, Skifahren in Massachusetts und in diversen Wasserparks in der Umgebung.

Welche Erfahrungen konntest du bisher als Ergotherapeutin in den USA sammeln? Was sind deiner Meinung nach die Vor- und Nachteile eines Auslandsaufenthalts?

In meiner Zeit in den USA hatte ich die Möglichkeit, zu verstehen, wie es ist, Mitglied einer Familie zu sein, die ein Kind mit Behinderung hat. Das wird mir später in meinem Beruf helfen, da ich auf einer anderen Ebene mit betroffenen Familien kommunizieren kann. Ich kann ihre Situation besser nachvollziehen und ihnen auch von meinen Erfahrungen berichten.

Außerdem durfte ich Mikeys Schule besichtigen, was eine interessante Erfahrung war. Die Schule ist eine Schule nur für autistische Kinder und arbeitet sehr interdisziplinär mit Sonderschulpädagogen, Ergo- und Physiotherapeuten, Psychologen und Logopäden mit dem Ziel, den Kindern eine bestmögliche Lernumgebung zu geben. Die Kommunikation mit der Schule und den Therapeuten lief größtenteils über mich und somit war ich manchmal nicht nur eine Ergotherapeutin für Mikey, sondern auch ein Familien- und Zeitmanager.

Mikey hatte zusätzlich noch Therapien, die nicht in der Schule stattfanden. Wöchentlich war ich bei mehr als zehn Stunden Therapie dabei. Bei der ABA-Therapie, der neurologischen Verhaltenstherapie und der Logopädie hatte ich die Möglichkeit, diverse Therapieansätze kennen und anwenden zu lernen. Hierbei hatte ich die Gelegenheit, mit weltweit führenden Instituten wie dem Kennedy-Krieger-Institut und professionellen Ärzten und Psychologen eng zusammen zu arbeiten. Dabei hatte ich die Therapien in Mikeys Alltag übertragen. 

Des Weiteren habe ich natürlich auch ergotherapeutisch mit ihm in Bereichen der Fein- und Grobmotorik, Konzentration, Emotionen und Selbstständigkeit gearbeitet. Am Anfang meiner Zeit in den USA war zum Beispiel Zähne putzen eine große Herausforderung für Mikey. Aufgrund meines ergotherapeutischen Hintergrundes überlegte ich mir einen visuellen Ablaufplan sowie ein Belohnungssystem und etablierte diese in Mikeys Routine. Bald ist ihm diese Routine sehr viel leichter gefallen. Natürlich war die Arbeit mit Mikey immer ein sich verändernder Prozess und was an einem Tag funktioniert, muss nicht das Richtige für den nächsten sein.

Neben der professionellen Arbeit hatte ich auch die Möglichkeit, viel zu reisen, mein Englisch zu verbessern und eine neue Kultur kennen zu lernen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel von diesem Land sehen würde. So war ich inzwischen in 20 verschiedenen Staaten und habe die Niagarafälle und den Grand Canyon besucht.

Natürlich war es nicht immer einfach seine Familie und Freunde weit entfernt in der Heimat zu lassen, allerdings ist es in Zeiten der modernen Kommunikation auch sehr viel einfacher den Kontakt via Skype und WhatsApp zu halten. Mehrere Freunde und Familienmitglieder aus Deutschland haben mich auch besucht und außerdem habe ich neue Freunde und eine zweite Familie fürs Leben gefunden.

Welchen Rat würdest du anderen geben, die sich für einen Auslandsaufenthalt als Physiotherapeut/in oder Ergotherapeut/in interessieren?

Für mich war es eine der besten Entscheidungen meines Lebens hierher zu kommen. Ich habe mich therapeutisch und persönlich unglaublich weiterentwickelt. Wenn ihr Fragen oder Bedenken habt, sucht euch eine Person, die diese Erfahrung bereits gemacht hat und lasst euch genau erzählen, wie es war. Traut euch, den Blick über den eigenen Tellerrand, den Schritt aus der eigenen Komfortzone zu wagen und ihr werdet unglaublich viele neue und tolle Erfahrungen machen, Leute kennenlernen und Erinnerungen schaffen. 

Ein oder zwei Jahre in einem anderen Land sind eine Chance, die ihr nicht oft bekommt. Es ist eine Zeit, die euch niemand mehr nehmen kann und die euch für den Rest eures Lebens als eine der besten Zeiten eures Lebens bleiben wird.

Foto (Header): chuttersnap / Unsplash

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