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Interview: Ergotherapie-Schülerin Amira führt Fotoprojekt mit Senioren durch

Stadthagen

Junge Menschen können von der Lebenserfahrung der älteren Generation lernen – davon ist Amira Kamal Eddin überzeugt. Die 24-Jährige macht zurzeit ihre Ausbildung als Ergotherapeutin an den Ludwig Fresenius Schulen Stadthagen. Während eines Praktikums im Kreisaltenzentrum führte sie daher ein Fotoprojekt durch und fragte die Bewohner nach ihren Ratschlägen für die nachfolgenden Generationen.

Im Interview berichtet die angehende Ergotherapeutin, die als Kind aus Syrien nach Deutschland gekommen ist, wie sie auf die Idee zu dem Fotoprojekt gekommen ist und welche Tipps der Senioren ihr besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Warum hast du dich für die Ausbildung als Ergotherapeutin entschieden?

Der Beruf der Ergotherapeutin ist sehr vielfältig: Das Zusammenspiel aus sozialen, medizinischen, psychologischen und handwerklichen Fächern sowie die Anwendung ergotherapeutischer Vorgehensweisen ermöglicht es, Menschen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten – das fand ich schon immer spannend.

Fachlich interessiert mich besonders die psychosoziale Richtung. Ich frage mich oft: Warum ist der Mensch heute so wie er ist? Welche Geschichte verbirgt sich dahinter? Und wie überwindet er Schicksalsschläge? Was Menschen bewältigen können, ist manchmal wirklich unglaublich!

Wie bist du auf die Idee zu dem Fotoprojekt gekommen und was möchtest du damit erreichen?

Mir ist aufgefallen, dass soziale Projekte oft innerhalb bestimmter Altersgruppen durchgeführt werden. Daher habe ich mir überlegt, wie ich die jüngere auf die ältere Generation aufmerksam machen kann. Ältere Menschen haben so viel erlebt! Die syrische Kultur ist sehr generationsübergreifend: verschiedene Generationen lernen voneinander und unterstützen sich gegenseitig. Ich bin davon überzeugt, dass das für beide Seiten so viele Vorteile hat. Menschen wollen Anerkennung und am Leben teilnehmen. Mein Projekt soll daher bewirken, dass beide Generationen sich gegenseitig wahrnehmen, besser verstehen und füreinander interessieren.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den älteren Menschen ab?

Vor der ersten Zusammenarbeit habe ich mir gedacht: „Jetzt kann ich alles Gelernte anwenden und zeigen, was ich kann.“ Nach einiger Zeit musste ich aber feststellen, dass die Senioren mir mehr gezeigt und gegeben haben, als ich jemals könnte. Sie haben mir einen neuen Einblick in ihre Welt geschenkt.

Bei Vorstellung des Projekts war ich zunächst sehr aufgeregt, wie die älteren Menschen darauf reagieren. Viele waren sofort dabei, andere jedoch mochten die Vorstellung nicht, dass ihre Bilder veröffentlich werden. Dennoch sind schöne Bilder zustande kommen und wir konnten viele nützliche Weisheiten sammeln und veröffentlichen. Das Projekt hat richtig Spaß gemacht und wir hatten viel zu lachen.

Welche Tipps der älteren Generation findest du besonders wichtig oder welche haben dich besonders berührt?

Besonders berührt hat mich die Aussage „Wirklich arm ist derjenige, der einsam ist.“ Da musste ich sofort an meine Familie denken und war sehr dankbar für alles. Eine 94-jährige alte Dame hat oft gesagt: „Auge um Auge und die Menschheit ist blind.“ Daraufhin hat sie erzählt, dass sie erst im Leben weitermachen konnte, als sie negative Erlebnisse losgelassen hat. Ein älterer Herr sendet diese Weisheit an die jüngere Generation: „Habt keine Angst vor dem Altern, ich kann immer noch alles machen. Nur langsamer!“ Außerdem sagte er oft mit einem breiten Lächeln: „Man muss nicht alles wissen. Manchmal bin ich froh, dass ich nicht mehr so gut hören kann.“

Du stehst kurz vor dem Abschluss deiner Ausbildung. Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Ich möchte – ganz egal, wo ich arbeiten werde – immer weiter dazu lernen und nicht stehenbleiben. Ich wünsche mir eine Arbeitsstelle, die für solche Projekte offen ist und mir den nötigen Freiraum zur Verfügung stellt. Nebenbei habe ich vor, als Dozentin für Ergotherapie Vorträge zu geben. Ich möchte meinen Wissensdurst stillen, die Welt aktiv mitgestalten und diese Energie auf andere übertragen!

Liebe Amira, vielen Dank für das Interview!